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Lernräume und Lernorte

»Der Wandel von der belehrenden zur lernenden Schule geht einher mit der pädagogischen Definition des Raumprogramms.« Otto Seydel


Der Lernraum als dritter Pädagoge

Der Einfluss des Raumes auf das Lernen war lange kein Thema der Forschung. Dennoch spiegelten Räume das Lernen im Industriezeitalter durch ihre Architektur wider:

»Wir sehen keine Orte für das Leben und das Lernen, sondern Kasernen. An langen Fluren steht ein Raum neben dem anderen stramm. Alle Klassenzimmer haben dieselbe Form. Die Kinder werden hineingepfercht, alle nach vorne zur Tafel ausgerichtet. Der Lehrer schreibt an, die Kinder schreiben ab. Das ist eine industrielle Anordnung, der die Massenabfüllung als Idee zugrunde liegt. […] Hand, Herz und Kopf müssen gleichzeitig entwickelt werden. Ich sehe nicht, wo in den Einheitsschulbauten der Augensinn der Kinder angesprochen wäre. Damit geht eine Verarmung der Sinne einher. Wir leisten der Erzeugung von „Gefühlskrüppeln“ Vorschub. Die Kinder werden in den standardisierten Klassenzimmern zu Mitläufern dressiert, sagt Wolfgang Harder, der ehemalige Rektor der Odenwaldschule. Denn das hat nichts mit dem zu tun, was wir im 21. Jahrhundert brauchen: Das Potenzial jedes Einzelnen zu erkennen und zur Geltung zu bringen. Die Freiheit zu haben, je nach Thema und Aufgabe Teams von Schülern bilden zu können. Zu experimentieren, zu forschen, zu denken.« Der Architekt Peter Hübner in einem Interview in der TAZ vom 16.1.2018

Siehe dazu auch der Artikel Schul-Meister im Deutschen Architektenblatt vom 1.12.2016


Das Vier-Räume-Modell

H. Jochumsen, D. Skor-Hansen und C.H. Rasmussen haben in ihrem Artikel The four new spaces – A new Model for the public library die vier Elemente einer Lernumgebung definiert.

Dass sich dieses Modell auch auf Schulen anwenden lässt, zeigen viele Beispiele der Schulen, die ihre Räume als Lernräume neu konzipiert haben, wie z. B. die Alemannenschule Wutöschingen.

Abb. links: Theoriegerüst frei adaptiert für die Infothek der Zukunft in Anlehnung an: Jochumsen, Rasmussen und Skot-Hansen, 2012 – Amt für Jugend und Berufsberatung | www.berufsberatung.zh.ch | rico.loppacher@ajb.zh.ch © Kanton Zürich, Bildungsdirektion, Mai 2017


Archetypische Funktionen des Lernraums

Lerneraktivierende und individualisierte Formen des Lernens erfordern Lernräume, die sich durch ein hohes Maß an Flexibilität auszeichnen und damit zu Ermöglichungsräumen werden.

Angeregt durch David Thornburgs „From the Campfire to the Holodeck“ (2014), der vier die Bereiche (1) Campfires, (2) Watering Holes, (3) Caves und (4) Life definiert, habe ich sechs archetypische Lernorte definiert, die für bestimmte Arten des Lernens stehen und diesen einen entsprechenden Ort bieten.

Das Labor

Im Labor gibt es vielfältige Möglichkeiten, Dinge zu erkunden, Phänomene kennenzulernen und zu experimentieren. Fehler sind erlaubt, denn aus ihnen wird gelernt.

Die Werkstatt

In der Werkstatt werden kollaborativ Produkte erstellt, wie beispielsweise Lernmedien (Erklärvideos, eBooks, Wikis u.a.), Produkte zur Nutzung durch andere oder den eigenen Gebrauch.

Die Höhle

Die Höhle ist der Ort, wo Kinder und Jugendliche ungestört und in Ruhe Lerninhalte vertiefen können, sie reflektieren und wiederholen. Es ist ein ganz individuell gestaltete Ort, der Ruhe bietet und Konzentration.

Der Marktplatz

Der Marktplatz ist der Ort des sozialen Lernens. Es gibt Austausch, diskutiert, im Dialog gelernt, beraten und Ideen ausgetauscht.

Speaker´s Corner

Bei der Speaker´s Corner werden Dinge und Ideen präsentiert, gibt es Input, wird etwas erzählt und erklärt – durch Menschen oder durch Medien.

Die Bühne

Auf der Bühne werden Ergebnisse und Erarbeitetes präsentiert.

Die Hängematte

In der Hängematte wird gechillt, entspannt, Sport gemacht, gegessen etc.


Schulen für die Zukunft gestalten

Mit meinem Kollegen Prof. Dr. Richard Stang zusammen habe ich für die Stadtmedienzentren Stuttgart und Karlsruhe ein Gutachten zur Entwicklung von räumlichen Lehr-Lernsettings in Schulen geschrieben.

Vorstellung im Stadtmedienzentrum Stuttgart

Vorstellung im Stadtmedienzentrum Karlsruhe

Gesellschaftliche Veränderungsprozesse und technologische Entwicklungen stellen immense Herausforderungen für die zukünftige positive Entwicklung unserer Lebenswelt dar. Schulen als zentrale Institutionen zur Gestaltung von Bildungsbiographien sind hier auf besondere Weise gefordert. Dabei muss Schule auf folgende Megatrends reagieren:

Individualisierung und die damit verbundene erhöhte Diversität sind Herausforderungen, mit denen sich Bildung auseinandersetzen muss. Dabei ist es wichtig, durch kommunikative Verknüpfung individueller Kompetenzen die Grundlage für gemeinschaftliche Veränderungsprozesse zu liefern. Schulen sind Orte, in denen diese Verknüpfung stattfinden kann bzw. muss.

Auch der Megatrend Wissenskultur ist von besonderer Relevanz. Durch den veränderten Umgang mit permanenter Wissensgenerierung auf allen gesellschaftlichen Ebenen wird der Zugang zu Bildung immer wichtiger und muss auf unterschiedlichste Weise realisiert werden. Open Knowledge bietet hier neue Optionen aber auch Lebenslanges Lernen wird ein wichtiger Modus biographischer Gestaltung. Auch hier schaffen Schulen eine wichtige Basis.

Die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung hat zur Folge, dass Themen wie Konnektivität und neue Kompetenzen – z. B. Digital Literacy – größere Relevanz erhalten. Schule sollte dabei helfen, den Schülerinnnen und Schülern die Kompetenzen zu vermitteln, die dynamischen Herausforderungen nicht nur adaptiv bewältigen, sondern auch produktiv gestalten zu können.

New Work kennzeichnet einen grundlegenden Wandel in der Arbeitswelt, auf den auch Schülerinnen und Schüler vorbereitet werden müssen. Dabei geht es um individuelle Potentialentfaltung, Work-Life-Balance, örtliche und zeitliche Flexibilisierung der Arbeit sowie der aktive Einbezug aller Beteiligten in die Entscheidungsbildungsprozesse. Arbeit und Freizeit werden stärker miteinander verknüpft, als dies früher der Fall war. Neue Arbeitsmodelle schlagen sich auch in der Verortung der Arbeit nieder. Flexibles Agieren in den verschiedenen Kontexten wird immer wichtiger.

Der Megatrend Neo-Ökologie, in dessen Zentrum Sinnhaftigkeit, soziale Perspektiven und Nachhaltigkeit des eigenen Tuns stehen, erfordert individuelle Strategien, die eingeübt werden müssen. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie unser Leben in Anbetracht des Klimawandels gestaltet werden kann. Hier sind Schulen gefordert, grundlegendes Rüstzeug an die Hand zu geben.

Globalisierung ist ein zentraler Trend, der gesellschaftliche und ökonomische Problemlagen in einem weltweiten Ausmaß generiert. Die globale Komplexität, die sich scheinbar dem individuellen Zugriff entzieht, führt dazu, dass lokale und regionale Kontexte wieder stärker in den Fokus treten, da Menschen stets Verortung und Identität suchen. Schule sollte ein Ort sein, der Teil dieser Verortung und Identitätsbildung ist.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, wie Schule der Zukunft gestaltet werden sollte.

Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, haben die Stadtmedienzentren Stuttgart und Karlsruhe den Auftrag erteilt, wissenschaftlich fundierte Raumszenarien für Einrichtungen zu entwickeln, die diesen Herausforderungen Rechnung tragen. Die Beantwortung dieser komplexen Fragestellungen ist kein triviales Unterfangen und kann im Rahmen dieses Gutachtens sicherlich nicht abschließend beantwortet werden. So ist das Gutachten eher als Versuch anzusehen, Eckpunkte für die Gestaltung der Schule der Zukunft vor allem im Hinblick auf die Raumorganisation zu entwickeln.

Zunächst werden in Kapitel 2 die Herausforderungen im 21. Jahrhundert beschrieben, da diese benannt werden müssen, um deutlich zu machen, wie wichtig eine Neuorientierung im Schulbereich ist, um diese Herausforderungen zu bewältigen.

Im Kapitel 3 steht die Kompetenzorientierung im Fokus, da immer deutlicher wird, dass die Vermittlung von Wissen nur ein Aspekt von Schule ist und dass es vielmehr vor dem Hintergrund der Dynamisierung gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen darum geht, Bildung kompetenzorientiert zu gestalten.

Dass die Digitalisierung ein gesellschaftlicher Changemaker ist, kann kaum noch infrage gestellt werden. Deshalb wird Pädagogik vor diesem Hintergrund im Kapitel 4 in den Blick genommen. Dabei werden lerntheoretische Grundlagen präsentiert, die deutlich machen, dass es für die Neuorientierung von Schule keine Alternative gibt.

Dies hat auch Auswirkungen auf die Raumgestaltung in Schulen. Die Grundlagen für Raumgestaltung, auch unter der Perspektive von Körperlichkeit, werden in Kapitel 5 entfaltet. Dabei geht es auch um grundlegende Aspekte, die bei der Raumgestaltung nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

Die Bedeutung von Räumen für das Lernen wird in Kapitel 6 in den Fokus gerückt, wenn die verschiedenen Funktionen, die Schulräume erfüllen sollten, aufgefächert werden. Davon ausgehend werden in Kapitel 7 Elemente der Raumgestaltung eingehender beleuchtet.

Die Anforderungen der Stadtmedienzentren Stuttgart und Karlsruhe werden in Kapitel 8 vorgestellt, um dann in Kapitel 9 Konzepte vorzustellen, wie die Räume der Stadtmedienzentren so gestaltet werden, dass sie als Modellräume für Schulen dienen können.

Wichtig bei der Entwicklung der Konzepte war deren Übertragbarkeit auf Schulen jeglicher Art. Hierzu werden Hinweise in Kapitel 10 gegeben. Dabei wird auch nochmals deutlich gemacht, dass mit einfachen Mitteln bereits Veränderungen vorgenommen werden können. Es war nicht der Anspruch der Autoren, Visionen für die fernere Zukunft zu entwickeln, sondern Konzepte, die kurz- und mittelfristig umgesetzt werden können, um die Schule von einer Lehranstalt zu einer Lernwelt zu transformieren.

Im Fazit werden dann wichtige Aspekte nochmals gebündelt, wobei der Fokus auch auf den Akteurinnen und Akteuren liegt, die für die Raumgestaltung verantwortlich sind. Denn durch die Räume werden die Optionen für das Lernen der Schülerinnen und Schüler präformiert und es ist darauf zu achten, dass nicht der Raum die Didaktik bestimmt, sondern die Didaktik den Raum. Und wenn dann die Didaktik das Lernen in den Fokus rückt und nicht das Lehren, könnte der Umbau der Schule gelingen.

Wir hoffen, mit unserem Gutachten einen Diskussionsanstoß zur räumlichen Gestaltung von Schulen liefern zu können. Dabei vertreten wir nicht den Anspruch, das Ei des Kolumbus gefunden zu haben, sondern haben versucht, auf der Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse Optionen aufzuzeigen, in welche Richtung Schulentwicklung gehen sollte. Dass die Zeit dazu drängt, ist uns sehr bewusst.


Learning Research Center an der Hochschule der Medien

Die Veränderungen im gesamten Bildungsbereich haben zu einer erhöhten Sensibilisierung für die Gestaltung von Lernarrangements geführt. Veränderte didaktische Konzepte erfordern auch veränderte Raum- und Angebotsstrukturen. Dies gilt sowohl für den realen als auch den digitalen Raum.

Von Schulen über Hochschulen bis hin zu Weiterbildungseinrichtungen, von Bibliotheken und Museen werden neue Lernumgebungen konzipiert. Die Hochschule der Medien Stuttgart hat sich in den letzten Jahren intensiv der Frage zugewandt, wie solche neuen Lernumgebungen angemessen und sinnvoll gestaltet werden sollten, und zwar unter vier Perspektiven, die wissenschaftlich untersucht werden:

  • Gestaltung physischer Raum- und Angebotsszenarien
  • Gestaltung digitaler Raum- und Angebotsszenarien
  • Pädagogische Konzepte
  • Organisatorische Kontexte

Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Perspektiven ergibt sich ein verändertes Verständnis von Lernwelten, das einen ganzheitlichen Blick auf die verschiedenen Aspekte von Lernen, Lehren und Wissensgenerierung erfordert. Im Zusammenspiel mit institutionellen Rahmungen geht es darum, Lernoptionen entlang der Biographien von Lernern in den Blick zu nehmen und übergreifende Konzepte zu entwickeln.

Im Rahmen des Learning-Research-Centers, mit den Forschungsschwerpunkten „Lernwelten“ (Prof. Dr. Richard Stang) und „Mobile Learning“ (Prof. Dr. Frank Thissen) werden folgende Schwerpunkte in den Blick genommen:

  • didaktisch-methodische Lehr-Lern-Settings: Untersuchung und konkrete Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen im Hinblick auf didaktisch-methodischen Veränderungsbedarf
  • organisatorische Gestaltungskonzepte: Entwicklung organisatorischer Konzepte, die den unterschiedlichen Anforderungen des lebenslangen Lernens Rechnung tragen
  • physische Lernräume: Erforschung und Entwicklung architektonischer Gestaltungsoptionen von Lernräumen, die sich sowohl an den Ergebnissen der Lehr-Lern-Forschung als auch an den Ergebnissen der Wahrnehmungsforschung orientieren
  • digitale Lernräume: Erforschung und Entwicklung einer medienadäquaten Gestaltung von Lernsettings, die auf den bisherigen Erfahrungen des E-Learning aufbaut, aber vor allem das mobile Lernen in den Blick nimmt
  • hybride Lernräume: Erforschung und Entwicklung von Schnittstellen physischer und digitaler Lernarrangements

Future Classroom Lab

Das Future Classroom Lab ist ein europäisches Projekt, das 32 Kultus- bzw. Bildungsministerien unterstützen.


Eminence Independent Schools

Die Schulen in Kentucky haben durch die Veränderung von Lernräumen innovative Lernformen massiv gefördert.


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